Wegsperren für Immer?

Wegsperren für Immer?

Was tun mit Schwerverbrechern, die ihre Haftstrafe verbüßt haben. Das ist eine der schwierigsten juristischen Fragen, und ein Problem, das immer wieder für Aufregung in der Bevölkerung sorgt. Vor allem, wenn es sich bei den Freigelassenen um ehemalige Sexualstraftäter handelt. Betrifft hakt nach: Ist die Angst vor den angeblich „tickenden Zeitbomben“ berechtigt?
Diese Frage führt Autor Wolfgang Luck zunächst in einen kleinen Eifel-Ort. Der „Fall Randerath“ machte 2009 bundesweit Schlagzeilen. Aufgebrachte Bürger gingen monatelang auf die Straße. Sie wehrten sich dagegen, dass ein ehemaliger Vergewaltiger in ihre Nachbarschaft zieht. Der Protest lief aus dem Ruder, zog Rechtsextremisten an; und die Boulevard-Medien trugen ihren Teil dazu bei, die Stimmung aufzuheizen. Und heute ? Tiefe Wunden sind in der Gemeinde zurückgeblieben. Der Bruder des entlassenen Häftlings lebt inzwischen an einem geheimen Ort, der Haftentlassene war zeitweise freiwillig zurück in eine JVA gegangen. Es sei eine „konstruierte Panik“ gewesen, sagt der Anwalt der Brüder im Rückblick. Und der Organisator der Proteste bekennt: „Es ging uns nicht um den Täter oder seinen Bruder – es ging uns darum, die Medien wachzurütteln“.
Wegsperren für Immer?
Fälle wie diese werfen vor allem zwei Fragen auf: Haben Menschen selbst nach schwersten Straftaten nicht das Recht auf eine zweite Chance? Und wie schützt man dann gleichzeitig die Umgebung vor Wiederholungstaten? Mit diesen Fragen reist das bertrifft-Team in die JVA Ludwigshafen. Er trifft dort einen Mann, der seine Frau ermordet hat und der jetzt mit Hilfe umfangreicher Therapieangebote auf das Leben in Freiheit vorbereitet wird. Der Sozialarbeiter der Anstalt sieht das ganz pragmatisch: „Vielleicht sind unsere Häftlinge tickende Zeitbomben. Aber wir sind dafür da, sie zu entschärfen.“ Autor Luck erlebt eine Therapiestunde im Gefängnis mit und erfährt von der Therapeutin, wie schwer es für Täter ist, über ihre Defizite und ihre Taten zu sprechen und „draußen“ ein wirklich ein neues Leben zu starten. Die Anstaltsleiterin ergänzt: „Der schwierigste Tag im Leben eines Häftlings ist der Tag der Freilassung. Der löst Lebenskrisen aus“.
Doch wie zuverlässig sind solche Therapien: Machen sie aus Schwerverbrechern integrationswillige Normalbürger? Experten sind sich einig, dass durch möglichst frühzeitige Therapieangebote viele Rückfälle verhindert werden können. Der Karlsruher Richter Klaus Michael Böhm spricht von „präventivem Opferschutz“, wenn er mit seinem Verein BIOS pädophilen Kriminellen und Vergewaltigern zu Therapien verhilft. Wegsperren allein sei keine Lösung, sagt er. Und: das Justizsystem müsse sich dringend umstellen. Bislang würden Therapien oft erst genehmigt, wenn ein Täter zum zweiten oder dritten Mal verurteilt werde. „Aber eine Gesellschaft darf es sich nicht leisten, auf Rückfälle zu warten“.
Wir treffen auch einen der ehemaligen Sexual-Straftäter, dem Gutachter bei seiner Entlassung ein hohes Rückfall-Risiko bescheinigten. Ursprünglich war er zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, anschließend wurde eine Sicherungsverwahrung verhängt. 26 Jahre saß der Mann im Gefängnis. Schließlich ordneten Gerichte seine Freilassung an. Heute lebt er unbescholten und anonym an einem geheimen Ort; ein gebrochener Mann, der im Interview sagt: „Ich kann verstehen, dass die Gesellschaft Angst vor mir hatte. Aber ich bin doch keine Bestie.“ Sein Bewährungshelfer sieht das ähnlich: man dürfe keinen Menschen auf Dauer wegsperren. „Die Gesellschaft muss bereit sein, mit einem Restrisiko zu leben“. Und er liefert interessante Fakten: von 80 Sexualstraftätern und Mördern, die vor sechs Jahren nach einem Urteil des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Deutschland aus der Sicherungsverwahrung freigelassen werden musste, ist fast keiner rückfällig geworden. Und das alles waren Männer, denen Gutachter eine extreme Rückfallgefahr bescheinigt hatten. Sein Fazit: „Wir sollten uns nicht von Panik leiten lassen“.

Ein Film von Wolfgang Luck
Kamera: Rainer Friedrich
Schnitt: Karl-Heinz Satzger
Redaktion: Thomas Michel, Thomas Schneider, SWR
Produktion: luckfilm 2015