Wieder draußen
Ein freigelassener Sexualstraftäter zieht bei seinem Bruder ein und löst in der Nachbarschaft Ängste und heftige Proteste aus. Die Geschichte des ARD-Spielfilms „Ein offener Käfig“ hat sich wahren Leben ganz ähnlich abgespielt. Wolfgang Luck berichtet in seiner Reportage vom „Fall Randerath“. Im Jahr 2009 gingen in dem kleinen Ort bei Aachen die Bürger auf die Straße um sich dagegen zu wehren, dass ein Vergewaltiger in ihre Nachbarschaft zieht. Der Protest lief aus dem Ruder, zog Rechtsextremisten an, die Boulevard-Medien trugen ihren Teil dazu bei, die Stimmung aufzuheizen. Fünf Jahre danach hat Autor Wolfgang Luck noch einmal nachgefragt: was wurde aus dem Täter, und seinem Bruder und wie sehen die Bürger der Stadt die Aufregung von damals heute. Der Fall hat tiefe Wunde geschlagen: der Bruder des Täters ist weggezogen und lebt traumatisiert an einem geheimen Ort. Der entlassenen Straftäter musste zeitweise in eine offene Gefängniszelle zurück, weil sich nirgends ein Vermieter fand, der bereit war, ihn aufzunehmen. Von konstruierter Panik spricht der Anwalt des Täters. Der Fall wirft die Frage auf: Haben auch Menschen, die schwerste Straftaten verübt haben das Recht auf eine zweite Chance?
Wolfgang Luck trifft im Gefängnis von Ludwigshafen einen Mann, der seine Frau ermordet hat und der jetzt mit Hilfe umfangreicher Therapieangebote auf das Leben in Freiheit vorbereitet wird. Der Sozialarbeiter der Anstalt sieht das ganz pragmatisch: „Vielleicht sind unsere Häftlinge tickende Zeitbombe. Aber wir sind dafür da den Zünder zu ziehen“. Macht Therapie aus Schwerverbrechern integrationswillige Normalbürger? Autor Luck erlebt eine Therapiestunde im Gefängnis mit und erfährt von der Anstaltsleiterin überraschendes: „Der schwierigste Tag im Leben eines Häftlings ist der Tag der Freilassung“.
Experten sind sich einig, dass durch möglichst frühzeitige Therapieangebote viele Rückfälle verhindert werden können. Der Karlsruher Richter Klaus Michael Böhm spricht deshalb von „präventivem Opferschutz“ wenn er mit seinem Verein BIOS Kinderschändern und Vergewaltigern zu Therapien verhilft. Wegsperren allein ist keine Lösung, sagt er. Und: unser Justizsystem muss dringend umgebaut werden. Bislang würden Therapien oft erst genehmigt, wenn ein Täter zum zweiten oder dritten Mal verurteilt wurde. „Aber eine Gesellschaft darf es sich nicht leisten, auf Rückfälle zu warten“.
Autor Luck trifft auch einen der ehemaligen Sexual-Straftäter, der nach Einschätzung der Gutachter zu einem der rückfallgefärdetsten Inhaftierten Deutschlands gehörte. Zu fünf Jahren Gefängnis wurde er verurteilt, 26 Jahre saß er im Gefängnis. Mehrmals wurde nachträglich Sicherungsverwahrung verhängt. Schließlich ordnete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Freilassung an. Autor Luck trifft einen gebrochenen Menschen, der sagt: “Ich kann verstehen, dass die Gesellschaft Angst vor mir hat. Aber ich bin doch keine Bestie“.
Ein Film von Wolfgang Luck
Kamera: Rainer Friedrich
Schnitt: Karl-Heinz Satzger
Redaktion: Thomas Michel, Thomas Schneider, SWR
Produktion: luckfilm
ARD-Themenabend „Sicherungsverwahrung“
Jahr: 2014